Logo

DISKRETE MATHEMATIK
Erich Prisner
Sommersemester 2000

Anzahlen

Motivation


Alle diese Fragen lassen sich mit etwas Geduld beantworten. Entsprechenden grösseren Problemen könnte man etwa lösen indem man Computerprogramme schreibt, die alle "Konfigurationen" aufzählen. Es gibt aber auch elegantere Methoden; einige von ihnen werden wir hier kennenlernen.

Inhalt

Wir werden mit drei ganz einfachen Prinzipien beginnen: Fast trivial sind Summenregel und Produktregel über die Anzahl von disjunkten Vereinigungen und kartesischen Produkten. Das Prinzip der doppelten Abzählung ist zwar auch sehr einfach, liefert aber manchmal überraschende Einsichten. Drittens stellen wir die Siebformel vor.
Danach werden wir die berühmten Binomialkoeffizienten streifen, bevor wir (eventuell) in das wesentlich komplizierte Gebiet der Rekursionsgleichungen einsteigen.
Was heisst es überhaupt wenn man sagt eine Menge habe 7 Elemente? Dies führt zum Begriff der Gleichmächtigkeit von Mengen und zum Begriff Abzählbarkeit. Wir werden sehen, daß auch unendliche Mengen verschieden groß sein können.
Wir starten mit einer Regel, die im Endlichen trivial anmutet und doch im Unendlichen die Basis für den dortigen Anzahlbegriff ist:

Eine (endliche) Menge M hat n Elemente, |M| = n, , wenn es eine bijektive Abbildung von M auf {1,2,...,n} gibt.
Gleichheitsregel: Gibt es eine bijektive Abbildung von der (endlichen) Menge A auf B, so ist |A|=|B|.

Summenregel: Sind A und B disjunkte (endliche) Mengen, so ist |A È B| = | A| + |B|.

Beispiel 1: Trotz seiner Einfachheit führt dieses Prinzip oft schon zu Rekursionsgleichungen. Sei etwa pn die Anzahl der Pflasterungen des n ×2 Schachbretts mit 2*1-Dominos. Offensichtlich ist p1 = 1, p2 = 2, p3 = 3, p4 = 5. Jede solche Pflasterung hat aber ganz links entweder ein vertikales Domino, oder zwei horizontale Dominos. Jede solche Pflasterung gehört also genau zu einer der folgenden beiden Mengen: Entweder zu der Menge Pf1 aller Pflasterungen der Form Pflaster oder zur Menge Pf2 aller Pflasterungen der Form Pflaster. Weil somit die Menge aller Pflasterungen des n ×2 Schachbretts die disjunkte Vereinigung von Pf1 und Pf2 ist, gilt nach der Summenregel pn = |Pf1| +|Pf2|. Da aber ganz offensichtlich | Pf1| = pn-1 und |Pf2| = pn-2 gilt, folgt durch Einsetzen die Rekursionsgleichung

pn = pn-1 + pn-2.
Natürlich gelten diese Überlegungen nur falls n ³ 2 ist. Damit lassen sich pn für beliebig grosse n automatisch berechnen. Trotzdem hat diese Gleichung noch einen Nachteil: Anzahlen von Pflasterungen werden durch Anzahlen von Pflasterungen ausgedrückt, allerdings zum Glück (oder leider?) kleineren Ausmaßes.

Beispiel 2: Als zweites Beispiel betrachten wir die Anzahl wn,m aller Wege von A nach B im n ×m Schachbrett. Zeigen Sie daß  wn,m = wn-1,m + wn,m-1 gilt.

Produktregel: Sind A und B endliche Mengen, so ist |A ×B| = |A| |B|.

Mit der Produktregel folgt (da es eine Bijektion zwischen Mk und der Menge M{1,2,...,k} aller Abbildungen von {1,2,...,k} nach M gibt):
Es gibt nk Abbildungen von {1,2,...,k} in {1,2,...,n}, suggestiver ausgedrückt:

| {1,2,...,n}{1,2,...,k} | = nk.

Spezieller als die Produktregel, folgt folgende Regel aus der Summenregel, die ich Wahlregel nennen will, da wir die zu zählenden Elemente mit der Wahl von zwei Parameter erzeugen können. Wir wählen zuerste den ersten Parameter, und die Entscheidung dieses Parameters bestimmt die Anzahl der Möglichkeiten, die wir dann für die Wahl des zweiten Parameters haben. Rekursiv lässt sich das Prinzip natürlich auf beliebig viele Parameter erweitern.

Wahlregel: Die Anzahl einer Relation R Í A × B sei zu bestimmen. Mit der Abkürzung R(a,.) = {b Î B/ (a,b) Î R} ist
| R | = åaÎA |R(a,.)|.
Die Mengen R(a,.) sind i.A. verschieden; besonders einfach wird die Formel aber, wenn diese Mengen alle gleich viele Elemente enthalten.

Mit der Wahlregel folgt:
Es gibt k*(k-1)*(k-2)* ... *(k-n+1) injektive Abbildungen von {1,2,...,n} in {1,2,...,k}. Speziell gibt es n! = n*(n-1)* ... *3*2*1 bijektive Abbildungen von {1,2,...,n} in {1,2,...,n}---diese bij. Abbildungen werden Permutationen genannt,

Oft ist entscheidend, in welcher Reihenfolge man die Wahlen trifft. Betrachten wir die Anzahl aller Anordnungen der Buchstaben "A", "B", "C", "D", "E", "F", "G", bei der "A" an erster Stelle, aber an der letzten Stelle "B" oder "C" stehen muß. Wählen wir die Buchstaben an den Stellen der Reihe nach, so wird die Analyse schwierig: Wir haben nur eine Möglichkeit an der ersten Stelle, 6 Möglichkeit an der zweiten Stelle. Die Anzahl der Wahlmöglichkeiten an der dritten Stelle hängt davon ab, ob wir "B" oder "C" an der zweiten Stelle wählten. Falls ja, dürfen wir "C" oder "B" an der dritten Stelle nicht wählen, haben also nur 4 Möglichkeiten, sonst 5.
Ganz einfach wird die Analyse, wenn wir zuerst den Buchstaben an der ersten Stelle (1 Möglichkeit), dann den Buchstaben an der letzten Stelle (2 Möglichkeiten), dann den Buchstaben an der zweiten, dritten, ... sechsten Stelle (5, 4, 3, 2, 1 Möglichkeiten) wählen. Es gibt also 1*2*5*4*3*2*1 = 240 solche Anordnungen.
Hier ist ein weiteres Beispiel dazu.

Prinzip der doppelten Abzählung

Für eine gegebene Matrix berechen wir die Zeilensummen und die Spaltensummen. Dann ist die Summe aller Spaltensummen gleich der Summe aller Zeilensummen (gleich der Summe aller Einträge der Matrix). In der Zeit manuellen Rechnens wurde diese Beobachtung zur Kontrolle verwendet.

Für einen gegebenen bipartiten Graphen mit Bipartition A und B gibt es zwei einfache Möglichkeiten die Zahl der Kanten zu bestimmen. Einerseits ist sie gleich der Summe der Grade aller Ecken in A, aber natürlich auch gleich der Summe der Grade aller Ecken in B.

Prinzip der doppelten Abzählung: Sei R Í {a1,a2,¼,am} ×{b1,b2,¼, bn} eine Relation. Für jedes 1 £ i £ m sei d(ai) die Zahl der bj mit (ai,bj) Î R, und genauso sei für jedes 1 £ j £ n d(bj) die Zahl der ai die mit bj in Relation stehen. Dann gilt
m
å
i = 1 
d(ai) = n
å
j = 1 
d(bj)

Siebformel

Wieviel Elemente entält die Vereinigung nichtdisjunkter endlicher Mengen? Zählen wir die Elemente von A und B separat, so haben wir alle Elemente von A È B gezählt, aber die Elemente von A Ç B doppelt. Deshalb gilt | A È B | = |A| + |B| - |A ÇB |.

Wie sieht es bei drei Mengen A, B, und C aus? Überlegen Sie sich wie oben daß  gelten muss:
| A È B È C | = | A | + | B | + | C | - | A Ç B | -| A Ç C | -| B Ç C | + | A Ç B Ç C |.
Venn

Siebformel: Sind A1, A2, ¼An endliche Mengen, so ist
|A1 ÈA2 ȼAn | = a1 - a2 + a3 - ¼+ (-1)n-1 an,
wobei jedes ai = åS Í {1,2,...,n}, |S | = i | Çx Î S Ax| ist.
Beweis

D.h. wir haben a1 = |A1|+ |A2|+ ¼+|An |,
a2 = |A1 Ç A2|+ |A1 Ç A3|+ ¼+| An-1 ÇAn|, usw, bis schliesslich
an = |A1 ÇA2 Ǽ ÇAn|.

Noch eine etwas andere Formulierung:

|
È
1 £ i £ n 
Ai| =
å
Æ ¹ I Í {1,2,¼,n}  
(-1) |I |+1 |
Ç
i Î I  
Ai|

Als Folgerung ergibt sich:

Die Anzahl der surjektiven Abbildungen von {1,2,...,n} nach {1,2,...,k} ist gleich
k
å
i = 0 
(-1)i æ
ç
è
k
i
ö
÷
ø
(k-i)n.
Beweis Für jedes j Î {1,2,...,k} sei Aj die Menge aller Abbildungen f von {1,2,...,n} nach {1,2,...,k}, die j nicht treffen, d.h. mit f-1({j}) = Æ. Aj hat so viele Elemente wie es Abbildungen von {1,2,...,n} nach {1,2,...,j-1,j+1,...k} gibt, also (k-1)n nach obigen Bemerkungen. Für Teilmengen S von {1,2,...,k} ist |Çx Î S Ax| = (k - |S|)n. Da es genau (k über i) solcher Mengen S gibt, ist in obiger Formel ai = (k über i)(k-i)n für jedes 1 £ i £ k ist. Die Zahl aller nicht surjektiven Abbildungen ist |A1 È A2 È ¼ An| = a1 - a2 + a3 - ¼ + (- 1)n-1 an von der Geamtzahl kn aller Abbildungen abgezogen ergibt obige Formel.

Test

Von den 73 Studenten einer Vorlesung spielen 52 Klavier (!), 25 Violine, 20 Flöte. 17 Studenten beherrschen Klavier und Violine, 12 Klavier und Flöte, 7 Violine und Flöte, aber nur ein Student beherrscht alle drei Instrumente. Wieviel Studenten spielen keins dieser drei Instrumente?

Jeder Student besucht genau 3 der 7 angebotenen Vorlesungen. Diese sieben Vorlesungen haben 73, 20, 20, 11, 4, 4 und 3 Hörer. Wieviel Studenten gibt es?

Mathematik ist überall im täglichen Leben, oder?


Weiter zu
Erich Prisner
File partially translated from TEX by T TH, version 2.53.
erstellt im Februar, geändert im Mai 2000.