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DISKRETE MATHEMATIK
Erich Prisner
Sommersemester 2000

Praedikatenkalkuel erster Ordnung

Mathematik ist eine Sprache. Betrachtet man mathematische Texte, so bestehen sie aus einer Mischung aus mathematischen Symbolen, logischen Schlußweisen, und ganz viel Deutsch (oder Englisch oder ...) Lässt sich das vielleicht noch formalisieren, so daß alles Deutsch verschwindet und die Sprache wirklich international verständlich ist? Von dieser Sprache sollte man auch verlangen, daß sie, ähnlich wie Programmiersprachen, eine feste und überprüfbare Syntax hat.

Bei diesem Programm hilft Aussagenlogik nur ansatzweise. Was vielleicht am meisten fehlt sind Symbole für "für alle" und "es gibt ein".

Unser Ziel ist es, eine Sprache zu entwickeln, mit der wir Aussagen über

mathematische Strukturen M = (M,R1,R2, ... , Rp, F1,F2, ... , Fm, c1, ... ck)
formulieren können. Dabei ist A eine Menge, die Ri sind irgendwie-stellige Relationen auf M, die Fi irgendwie-stellige Operationen (Verknüpfungen) auf M, die ci sind Konstanten aus M.

Die Sprache(n)

Zuerst basteln wir eine Sprache L, mit der wir über obige mathematische Struktur M (und ähnliche) reden können:

Die Menge = { , , (, ), , = }. der technische Zeichen umfasst:

Wenn wir es etwas bequemer haben wollen, wählen wir etwa = { , , , , (, ), , , = }. Beachten Sie aber, daß die neu dazugenommenen Zeichen nur Abkürzungen sind. Diese Menge ist unabhängig davon, in welcher mathematischen Struktur (geordnete Mengen, Graphen, Boolesche Algebren, Gruppen, ...) wir arbeiten wollen.

Als Zweites brauchen wir eine Symbolmenge

S = {a, b, c, ... , R1,R2, ... , Rp, F1,F2, ... , Fm, c1, ... ck}.

Interessant ist vielleicht, wofür wir keine Symbole haben: Etwa für Teilmengen der Grundmenge M. Gibt es noch etwas, wofür Sie gerne Symbole hätten?

Unsere Sprache besteht nun aus gewissen Elementen der Menge S* aller endlichen Worte aus dem Alphabet S = S. Wir unterscheiden Terme, Formeln und Aussagen,

Terme

Wir definieren die Menge der Terme rekursiv:
  • alle Individuenvariable aus M und alle Konstantensymbole ci sind Terme,
  • Sind t1, ... tf Terme und ist Fj ein Symbol, das für eine f-stellige Verknüpfung steht, so ist Fj t1 ... tf auch ein Term.
Terme stehen immer für Elemente der Grundmenge, in der Zahlentheorie ist etwa auch "(a + b) * (c + a + b)" ein Term). Beispiele:

Formeln

Auch die Menge der Formeln (prädikatenlogische Ausdrücke, Aussageformen) definieren wir rekursiv:
  • Sind t und s Terme, so ist "t = s" eine Formel, genauer gesagt eine Gleichung.
  • Sind t1, ... , tt Terme, und steht das Symbol Rj für eine r-stellige Relation auf M, so ist "Rj t1 ... tr" auch eine Formeln. Solche Formeln sowie Gleichungen werden auch atomare Formeln (bzw. Primformeln) genannt.
  • Sind A und B Formeln, dann sind " A" sowie "(A B)" Formeln (in der "faulen" Version auch "(A B)" sowie "(A B)".).
  • Ist A eine Formel und x eine Individuenvariable, so ist " x A" eine Formel (in der "faulen" Version auch " x A")
Beispielsweise sind x y F x y = 0 (ausgeschrieben: x y F x y = 0) oder auch x F z v = 0 Formeln, wenn F ein Symbol für eine zweistellige Verknüpfung ist. Auch x x x = x oder auch x x x = x (wiederholtes Quantifizieren einer Variable wurde nicht verboten) oder auch x x = x sind Formeln. Beispiele:

Aus Gründen besserer Lesbarkeit darf man auch Klammerpaare (sinnvoll) einfügen.

Wieder ist vielleicht interessant, was man nicht machen darf: Etwa über Relationen oder Operatoren quantifizieren, oder auch über andere Elemente, etwa natürliche Zahlen, falls die Grundmenge M nicht N ist---man hat dann ja nicht einmal Symbole für natürliche Zahlen!

Beweise oder Definitionen werden oft durch "Induktion über den Term- oder Formelaufbau" geführt, wir geben Beispiele:

Wir definieren Prädikate var T (x var T falls Variable x im Term T vorkommt) durch Induktion über den Termaufbau:

Wir definieren Prädikate var A (x var A falls x in A vorkommt) und frei A (x frei A falls x in A frei vorkommt) für Formeln A durch Induktion über den Formelaufbau:

Ist frei A = {x1, x2, ... , xn} für die Formel A, so schreibt man genauer auch A(x1, x2, ... , xn) statt A. Die Generalisierung einer solchen Formel A ist x1 x2 ... xn A.

Aussagen

Eine Formel, bei der jede Variable gebunden (nichtfrei) ist, nennt man eine Aussage:
Eine Aussage ist eine Formel A mit frei A = Ø.
Beispiele:

Grenzen

Genauso wie man mit Aussagenlogik nicht alles ausdrücken kann, kann man mit Sprachen 1. Stufe auch nicht alles ausdrücken (sonst wären sie nicht erster Ordnung!). Beispiele:
Wie schon Wittgenstein sagte: "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen" (zumindest in erster Ordnung!).
Weiter zur Semantik.
Erich Prisner
erstellt im Juni 2000.